|
CJ Ed 3/4 1 |
Die Chemins de fer du Jura entstanden 1944 aus der Fusion aller Privatbahnen im französischsprachigen Teil des kantons Bern. Dazu gehörten folgende normalspurige Bahngesellschaften:
Régional Porrentruy - Bonfol (RPB)
Régional Saignelégier - Glovelier (RSG)
CJ Ed 3/4 1 |
Zur Betriebseröffnung der Strecke Porrentruy - Bonfol werden von der Jura - Simplon-Bahn zwei gebrauchte Dampflokomotiven übernommen. Diese waren für die Pont - Vallorbe-Bahn 1886 von der Société Alsacienne de Constructions Mécaniques in Mulhouse mit den Nummern 201 und 202 gebaut worden. Mit der Übernahme durch die Jura - Simplon-Bahn bekamen sie die Nummern 751 und 752. Im Jahre 1901 gelangten sie nach Bonfol und sollten die Nummern 1 und 2 erhalten, was aber unterblieb. Die E 3/3 751 wurde 1929 an die Dreispitz-Verwaltung nach Basel verkauft, wo sie die Nummer 5 erhielt, und die E 3/3 752 1924 abgebrochen.
RPB E 3/3 752 |
RPB E 3/3 751 - 752 |
Um die altersschwach gewordenen Lokomotiven zu entlasten wurde von der Sensetalbahn eine weitere gebrauchte Lokomotive übernommen. 1903 lieferte die SLM an die Sensethalbahn zwei Dampflokomotiven Ed 3/4 31 und 32. Die Lokomotive 31 wurde 1934 an den Régional Porrentruy - Bonfol verkauft. Die Strecke war 1952 elektrifiziert worden und sie wurde 1954 in Chavornay abgebrochen.
CJ Ed 3/4 31 |
RPB Ed 3/4 31 |
Zu Betriebseröffnung 1903 der Strecke Saignelégier - Glovelier liefert die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur drei Dampflokomotiven Ed 3/4 1 bis 3. Dies aufwendige Betriebsform mit Spitzkehre in Combe-Tabeillon führte zur Bestellung der beiden Dampftriebwagen und die Lokomotiven kamen nur noch vor Güterzügen und schweren Personenzügen zum Einsatz. 1934 wurde die Lokomotive 2 an den Regional Porrentruy - Bonfol verkauft. Diese Lokomotive wurde 1949 an Gebr. Sulzer in Winterthur für das Werkmanöver in Oberwinterthur verkauft. Sie wurde in Bonfol umgehend durch die Ed 3/4 3 ersetzt. Die Ed 3/4 1, die als einzige 1939 einen Überhitzer erhalten hatte, wurde nach der Umspurung der Strecke Saignelégier - Glovelier Ende 1952 ebenfalls an Gebr. Sulzer für das Werkmanöver in Winterthur verkauft. Die Ed 3/4 1 wurde 1957 abgebrochen, während die Ed 3/4 2 1972 vom Dampfverein Zürcher Oberland übernommen wurde. Es ist die einzige erhalten gebliebene Dampflokomotive der Chemins de fer du Jura. Die Ed 3/4 3 wurde 1956 in Romont abgebrochen.
CJ Ed 3/4 3 |
RSG Ed 3/3 1 - 3 |
Der Betrieb mit Dampflokomotiven ist für die schwach besetzten Personenzüge sehr kostenintensiv. Aus diesem Grund werden bei der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik 1910 und 1913 je ein Dampftriebwagen für Einmannbetrieb beschafft. Der Dampftriebwagen 4 wurde 1954 in Chavornay und das Fahrzeug Nummer 5 1952 in Les Emibois abgebrochen.
RSG CFZm 1/3 4 |
RSG CFZm 1/3 4 - 5 |
Besitzer |
RPB |
RPB |
RSG |
RSG |
|
Bezeichnung |
E 3/3 |
Ed 3/4 |
Ed 3/4 |
CFZm 1/3 |
|
Nummern |
751 + 752 |
31 |
1 - 3 |
4 + 5 |
|
Inbetriebsetzung |
1886 |
1903 |
1903 |
4: 1910 / 5: 1913 |
|
Hersteller |
SACM |
SLM |
SLM |
SLM |
|
Spurweite |
1435 |
1435 |
1435 |
1435 |
mm |
Länge über Puffer |
8,30 |
6,06 |
8,38 | 12,84 |
m |
Gesamtachsstand |
2,60 |
5,00 |
4,53 |
7,65 |
m |
Raddurchmesser |
1075 |
850 / 1230 |
750 / 1030 |
700 / 1030 |
mm |
Leergewicht |
24,5 |
35,6 |
32,0 |
4: 27,2 / 5: 28,0 |
t |
Dienstgewicht / Reibungsgewicht |
32,0 / 32,0 |
42,9 / 36,9 |
39,7 / 33,6 |
32,0 / 13,0 |
t |
Höchstgeschwindigkeit |
45 |
50 |
45 |
45 |
km/h |
CJ G 3/3 9 |
Zu den beiden normalspurigen Strecken wurden auch zwei Meterspurstrecken 1944 in die Chemins de fer du Jura integriert:
Saignelégier - La Chaux-de-Fonds (SC) mit Damfbetrieb
Chemin de fer Tavannes - Le Noirmont (CTN) mit elektrischem Betrieb (1200 V =)
Zu Betriebseröffnung der Strecke Tavannes - Tramelan lieferte die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur 1884 zwei zweiachsige Dampflokomotiven. Für eine Bahnstrecke mit Steigungen bis zu 40 ‰ waren die Lokomotiven etwas unterdimensioniert. Als grössere Revisionen anfielen musste 1891 noch eine dritte Lokomotive nachbeschafft werden. Mit der Elektrifizierung von 1913 wurden die Lokomotiven überzählig und wurden für die Elektrifikation anderer Strecken vermietet. Zwischen 1940 und 1943 wurden sie verschrottet.
CJ G 2/2 2 |
TT G 2/2 1 - 3 |
Für den Betrieb der Strecke Saignelégier - La Chaux-de-Fonds (SC) lieferte Jung in Jungenthal zwei vierachsige Mallet-Lokomotiven. Als die erste Revision anfiel wurde eine dritte Lokomotive geliefert. Neun Jahre nach der Betriebsaufnahme lieferte Jung einer vierte und letzte Lokomotive an die Gesellschaft. Die 1944 in Le Norimont beschädigte Lokomotive 5 wurde 1951 in Les Emibois und die drei anderen 1954 in Thörishaus abgebrochen.
CJ G 2x2/2 7 |
SC G 2x2/2 4 - 7 |
Die Lokomotive 9 wurde 1915 von SLM an die Bahn Les Pont-des-Martel - La Sagne - La Chaux-de-Fonds (PSC) geliefert. Nach der Elektrifikation von 1950 wurde die Lokomotive überzählig und 1951 an die CJ verkauft. Sie ersetzte die G 2x2/2 5, die anlässlich der Bombardierung des Bahnhofes Le Noirmont am 29. Oktober 1944 beschädigt worden war. Da die Nummer 6 schon belegt war, wurde die Zahl gewendet um eine 9 zu erhalten. Nach der Elektrifikation der Chemins de fer du Jura 1952/53 wurde auch hier die Lokomotive 9 überzählig und 1956 in Les Emibois abgebrochen.
CJ G 3/3 9 |
CJ G 3/3 9 |
Besitzer |
TT |
SC |
CJ |
|
Bezeichnung |
G 2/2 |
G 2x2/2 |
G 3/3 |
|
Nummern |
1 - 3 |
4 - 7 |
9 |
|
Inbetriebsetzung |
1884 (2) / 1891 (1) |
1892 (2) / 1894 (1) / 1901 (1) |
1915 |
|
Hersteller |
SLM |
Jung |
SLM |
|
Spurweite |
1000 |
1000 |
1000 |
mm |
Länge über Puffer |
5,77 |
7,48 |
6,14 |
m |
Gesamtachsstand |
1,80 |
4,00 |
2,20 |
m |
Raddurchmesser |
750 |
850 / 1230 |
750 |
mm |
Leergewicht |
9,6 |
19,5 |
15,0 |
t |
Dienstgewicht |
12,4 |
24,0 |
20,0 |
t |
Höchstgeschwindigkeit |
25 |
30 |
35 |
km/h |
von Hans Schneeberger (1931 – 1995)
Der Autor auf der |
Der Verfasser dieser Plauderei hat im Sommer 1952, also vor 60 Jahren, aus Liebe zur Eisenbahn und zwecks Aufbesserung seines kargen Sackgeldes auf der Strecke Saignelégier – La Chaux de Fonds als Aushilfsheizer gearbeitet und dabei ein Tagebuch geführt.
Da die wenigsten Leser die alte CJ (Chemin de Fer du Jura) noch aus eigenem Erleben kennen, sollen dem Tagebuch einige Erläuterungen vorausgeschickt werden. Die CJ enstanden aus der Fusion der vier Gesellschaften:
RPB Régional Porrentruy – Bonfol (Normalspur)
RSG Régional Saignelégier – Glovelier (Normalspur)
SC Saignelégier – La Chaux de Fonds (Meterspur)
CTN Chemin de Fer Tavannes – Tramelan – Le Noirmont (Meterspur)
RPB, RSG und SC waren bei der Gründung der CJ mit Dampf betrieben, die CTN fuhr seit der Eröffnung der Strecke Tramelan – Le Noirmont elektrisch. Auf der Strecke Saignelégier – La Chaux de Fonds die uns hier besonders interessiert, verkehrten im Jahre 1952 folgende Dampflokomotiven:
G 2x2/2 Nr. 4 Pouillerel Jung Nr. 137/1892
G 2x2/2 Nr. 6 Franches – Montagnes Jung Nr. 180/1894
G 2x2/2 Nr. 7 Jura Jung Nr. 467/1900
G 3x3 Nr. 9 - SLM Nr. 2529/1915
Die Lok Nr. 9 ist 1950 von der PSC (Pont-Sagne – La Chaux de Fonds) übernommen worden, wo sie Nr. 6 trug. Durch einfaches Umdrehen der Nummerntafel wurde sie zur Nr. 9. Die G 2x2/2 Nr. 5 mit Namen „Spiegelberg“ ist bereits 1951 ausrangiert und abgebrochen worden.
Der Zustand des Rollmaterials auf der SC war 1952 bereits bedenklich, was aber angesichts der in einem Jahr bevorstehenden Elektrifikation nicht weiter erstaunte. Die Lokomotiven – von ihren individuellen Eigenheiten wird noch die Rede sein – waren mit Ausnahme der „Kleinen“ bereits über 50 Jahre alt und konnten nur dank der intensiven Pflege durch den Depotchef und seine Mannschaft in Form gehalten werden. Die Lokführer waren alte Routiniers, die ihre Pferdchen kannten; die Heizer dagegen waren mit wenigen Ausnahmen Aushilfskräfte, oft ohne Erfahrung. Die Personenwagen glichen fahrbaren Räuberhöhlen, an denen angesichts der bevorstehenden Ausrangierung (Wechsel von Saugluft- auf Druckluftbremse mit der Einführung der elektrischen Traktion) nur noch das Alllernotwendigste gemacht wurde.
Der Fahrplan im Sommer 1952 war infolge der Gleiserneuerungs- und Elektrifikationsarbeiten ziemlich dünn (Bus-Ersatzdienst) und umfasste auf der Schiene:
Am Morgen den „Arbeiterzug“ von Saignelégier nach La Chaux de Fonds und am Abend zurück (Züge 81 und 90)
Am Vormittag den „Stücker“ Güterzug hin und zurück (Züge 803 und 804)
Am Abend noch ein Personenzugspaar (Züge 91 und 94)
Dazwischen standen Lok und Personal zur Verfügung der Bauunternehmung für Bauzüge. Dazu kamen nächtliche Schotterzüge ab La Chaux de Fonds, wo der Umlad von der SBB auf die CJ erfolgte. An Sonntagen erfolgten alle Kurse mit der Bahn. Soweit der äussere Rahmen der Plauderei.
Wie ich überhaupt Heizer wurde
Die Liebe zur Eisenbahn im Allgemeinen und zum Dampfross im Besonderen wurde mir offenbar schon in die Wiege gelegt, ich kann also nichts dafür. Bis zum 9.Juni 1952 konnte diese Leidenschaft, abgesehen von einigen Exkursionen nur in der Theorie zur Geltung kommen. Nun schien ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung zu gehen. Ich sollte während längerer Zeit auf der Dampflokomotive mitfahren dürfen und zwar nicht nur als Zuschauer, sondern als einer, der für das Gelingen der Fahrt mitverantwortlich war. War das nicht schön! So meldete ich mich voll guter Vorsätze beim Depotchef in Saignelégier.
Lern- und Wandertage
Ich erwartete nichts anderes, als dass ich nun einige Zeit in der Werkstätte so richtig die weniger schöne Seite des Dampfbetriebes kennenlernen sollte. Aber nichts von dem! Mein Chef, Herr L, ein lieber Mann, der es nur gut mit mir meinte, eröffnete mir, dass ich bereits ab morgen als dritter Mann mitfahren würde und zwar ausschliesslich auf der Strecke nach La Chaux de Fonds. Heute wäre ich noch Amateur und könne mir den Betrieb ansehen. Ich verpasste die Gelegenheit nicht und fuhr mit einem alten Bekannten, Herr H auf der Normalspur nach Glovelier hinunter. Es war meine letzte Fahrt auf der alten RSG.
G 2x2/2 7 "Jura" |
Der erste Tag
Es galt heute, den ganzen Tag lang Material für die Rekonstruktionsarbeiten zu führen und am Abend mit Zug 90 heimzukehren. Wohlgemut stieg ich zu Ross. Es war die 7. „Das Ding werde ich bald einmal beherrschen, ich hab ha schon viel über Dampflokomotiven gelesen. Zeige mir wie man's macht, und ich kann es bald besser als du“! Kurz, ich war etwas hochmütig und bildete mir auf meine dünnen theoretischen Kenntnisse allerhand ein. Ich sollte aber sofort erkennen, dass ich ganz vorne anfangen musste:
Wann soll man Kohle auflegen, wann Wasser machen? Wie funktioniert der Schmierapparat, von dem man mir die schönsten Greuelmärchen erzählt hatte, wann soll der Bläser in Tätigkeit gesetzt werden usw? Ich wurde klein, bleich und hässlich und wollte nie wieder eingebildet sein! Meine praktische Tätigkeit beschränkte sich vorerst auf das Triebstangenreinigen und Einprägen der Strecke. Dass einem beim Bahnbetrieb auch unvorhergesehene Gefahren drohen, erfuhr ich bereits an diesem ersten Tag. Längs der Geleise wurden Löcher für die Mastsockel gesprengt. Durch irgendein Missverständnis unter den Arbeitern ging eine Ladung gerade in dem Moment los, als wir am betreffenden Loch vorbeifuhren. Holzstücke, Steine und Dreck flogen ins Führerhaus, ein Glück, dass kein Auge Schaden davontrug. Der Maschine sah man's noch längere Zeit an!
Die ersten Pflichten
Heute war der gemütliche Stücker (Güterzug) 803 zu führen, und der Rest des Tages wurde wiederum mit Materialfahrten zugebracht. Bereits wurden mir einige Dinge erläutert, die ich später nie ausser Acht lassen sollte: Erst einmal durfte man nie Kohle auflegen, solange ein Injektor in Tätigkeit war, sonst sei das berühmte Rohrrinnen die unausbleibliche Folge. Zweitens sollte man auf den Endstationen den Schmierapparat abstellen. Mich wundert bloss, dass ich nicht von selbst auf die grossartige Idee gekommen war. Indessen sollte auch dieser Tag nicht vergehen, ohne dass sich für mich, den Anfänger eine nützliche Beschäftigung gezeigt hätte: Die neuen Rollschemel waren nicht mehr mit der Hardy-Bremse ausgerüstet, so dass die Handbremse bedient werden musste. Diese Aufgabe wurde mir zugewiesen. Zugegeben, es war im Anfang ein leicht beklemmendes Gefühl, mit 15 Tonnen Steinen über dem Kopf 30 cm über den Schienen einherzurasseln.
Unter „Kollegen“
Nun lernte ich Papa C als Lokomotivführer kennen. Dass er ein äusserst liebenswürdiger Patron sei, merkte ich bereits zu Beginn unserer Reise. Der Heizer Q aus St. Brais war „Auxiliaire“, wie ich im Begriffe stand, einer zu werden. Das hatte für mich einen grossen Vorteil: Er musste immer noch an alles denken, nichts ging ihm automatisch. Da er zudem sehr gewissenhaft war, machte er mich auf eine Menge Dinge aufmerksam, die dem Routinier eine Selbstverständlichkeit waren. So erfuhr ich nun zum Beispiel, dass vor jeder Wasserfassung eine Büchse voll „Cadi“ in den Wassertender zu leeren sei, um dem Kesselstein den Garaus zu machen. Im Weiteren wurde ich darüber belehrt, dass das Oelpintli des Führers stets auf vollständige Füllung zu kontrollieren sei, falls man sich seine Gunst erhalten wollte. Im Uebrigen sei es sehr erwünscht, dass die Armaturen im Führerstand sauber seien, das gleiche gelte für das Triebwerk, kurz, der ganzen Maschine. Ich hatte wieder ein weiteres Betätigungsfeld vor mir. Aber schon am nächsten Tag gab es wieder ein Menge neuer Dinge zu lernen, nur stammten sie diesmal vom Heizer M der ebenfalls gewissenhaft und dazu noch fröhlich und nett war. Ich erfuhr, dass und wie man die Laternen zur Führerstandbeleuchtung (eine Oel- und eine Karbidfunzel) mit Vorteil schon bei Tag marschbereit machte und zudem ständig für einen ausreichenden Oel- und Karbidvorrat besorgt sein müsse. Ich wurde darüber belehrt, dass es Sache de Heizers sei, dafür zu sorgen, dass die Wagen des Zuges ordnungsgemäss geschmiert seien. Ferner waren die Achslager der Maschine in seiner alleinige Obhut.
G 2x2/2 9 |
Erste Gehversuche
Bei Vorbereitungsarbeiten war ich nun schon bald daran gewöhnt, nur zuschauen zu dürfen, und machte keine grossen Anstrengungen mehr, selber etwas zu tun. Man stelle sich aber meine Ueberraschung vor, als Führer Sch kurz vor der Abfahrt, es war Zug 8 und Lok 4, den Heizer in den Gepäckwagen schickte und mir sagte, ich solle jetzt zeigen, was ich gelernt habe.
Nun war ich plötzlich selber dafür verantwortlich, dass stets genug Feuer und Wasser da war, dass die Briketts in die richtige Grösse zerschlagen wurden. Wie froh war ich, dass ich mir die Neigungsverhältnisse und Stationsdistanzen eingeprägt, die alten Strube-Injektoren bedienen, den Schmierapparat einstellen, verstopfte Wasserstandgläser ausblasen, usw gelernt hatte. Ich musste mich gehörig zusammennehmen, um keinen Fehlgriff zu tun, die Kohlen nicht auf einen Haufen zu schmeissen und trotzdem noch entstehende Löcher im Feuer rechtzeitig wahrzunehmen. Nun, wir haben an diesem Morgen alle Klippen glücklich umschifft, dh alle Steilrampen ohne Druckabfall und mit genügendem Wasservorrat genommen, und ich war ordentlich stolz auf meine erste Leistung.
Erste Atempause
Frei! Das will aber nicht sagen, dass ich nun der Eisenbahn den Rücken kehre. Im Gegenteil! Es wurde der Fotoapparat geladen, das Fahrrad aufgepumpt, aufgesessen und losgefahren. Es gelangen mir tatsächlich ein paar hübsche Aufnahmen. Ich wollte aber auch gewichtige Andenken heimbringen! Dank der langen Langsamfahrstellen bei Muriaux konnte ich dem Zug sogar voranradeln und ihn zweimal knipsen!
Was das Putzen einträgt
Heute wurde Ross Nr. 9 geritten und bald hatte ich mit dem kleinen Pony Freundschaft geschlossen. Vor lauter Begeisterung begann ich das Führerhausinnere einer gründlichen Reinigung zu unterziehen, wobei nach längerem Schruppen über dem Kessel folgende Inschrift zutage trat:
Press. Max.: 13 atü
Vit. Max.: 35 km/h
Gut, dass wir's endlich wussten!
Das liebe Vieh
Wieder war es die kleine 9, die diesmal den 81er nach La Chaux de Fonds zu bringen hatte. Dies war so ziemlich die obere Grenze, die dem Lokerli zugemutet werden durfte. Besonders das Anfahren bereitete ihm Schwierigkeiten. Und richtig! Stand da nicht in der Steigung nach Le Noirmont (und dazu noch in einer Kurve) eine Kuh mitten auf dem Geleise. Die schwer keuchende Maschine schien ihr gar keinen Eindruck zu machen. Nicht einmal der Dampf, den ich durch die vordere Heizleitung ausströmen liess, bewog sie zum Nachgeben. Es musste angehalten werden und ich hatte das Geleise zu räumen. Aber nun das Anfahren! Beinahe wären wir „hocken“ geblieben, alles Sanden schien einen Dreck zu nützen bei den nassen Schienen. Endlich kam der Zug langsam in Bewegung, aber ein paar Minuten waren dennoch verloren. Seit jenem Tag bin ich auf Kühe nicht mehr gut zu sprechen.
Ich werde selbständiger
Auch den Nachtdienst lernte ich kennen. Er gefiel mir zwar nicht überaus. Was aber wichtiger ist: Ich erkannte einigermassen die Tücken der Maschinen, so dass sie nun vorstellen kann:
Veteran der Gesellschaft ist der „POUILLEREL“ (Nr. 4) aus dem Jahre 1892. Ihn fuhr ich recht gerne, denn er dampfte zuverlässig und spielte einem keinen Streiche, kurz, er war ein gutmütiger Geselle. Dafür, dass er einen schrecklichen Dreitakt hatte und die Stopfbüchsen bliesen wie Schlammhahnen, konnte er schliesslich nichts. Noch eine angenehme Einrichtung besass er: Der alte Lubrikator war seinerzeit in Biel durch eine “neuzeitliche“ Schmierpumpe ersetzt worden. Damit war man ausser dem Füllen dieser Pumpe der Sorge um anständige Zylinderschmierung enthoben. Eine unpraktische Einrichtung muss aber noch gerügt werden: Das Handrad für den Bläser war auf der Führerseite, was zur Folge hatte, dass der Chef dem Heizer ständig in seine „Blasberechnung“ funkte und immer gleich merkte, wann dieser blasen musste.
Als Zweite sei die zierliche „FRANCHES MONTAGNES“ vorgestellt. Nicht dass sie etwa in ihren Abmessungen schlanker gewesen wäre als die anderen, aber mir kam sie einfach zierlicher und vor allem feinfühliger vor, denn sie schien auf jede Schaufel Kohle mehr oder minder zu reagieren. Dass sie aber junge, unerfahrene Heizer gerne neckte, sollte ich auch erfahren: Sie pflegte sehr lebhaft zu dampfen, was mich auf der ersten Alleinfahrt dazu verleitete, Kohlen sparen zu wollen. Alles rollte prächtig, aber nur bis zur nächsten Steigung, wo der Druckabfall so heftig war, dass Papa C über den Rand seiner Brillengläser zuerst den Manometer betrachtete und dann mich! Seither hat sie mich aber nie mehr erwischt. Dafür hatte sie, verglichen mit den anderen, einen bescheidenen Wasserkonsum. Daneben war sie auch wiederum etwas eigensinnig und konnte nicht aus dem Trott gebracht werden. Wenn man bergauf mit 25km/h fuhr, so ging sie um keinen Preis schneller, man konnte die Steuerung auslegen soweit wie man wollte. Wir haben es einmal ausprobiert.
Nun kommt der „JURA“ der ruppige Geselle (Nr.7). Er war ein bockiger Esel, der den Reiter abschütteln, dh den neuen Heizer zur Verzweiflung bringen wollte. Tagelang konnte er ganz ordentlich seine Arbeit verrichten, um dann plötzlich unverschämt schlecht zu dampfen und das Speisewasser, das man ihm via Injektor eingeben wollte, einfach auszuspucken. Oft wäre ich mit ihm am liebsten auf die Schlachtbank, dh zum Alteisenhändler gefahren und zu Fuss heimgegangen. Bezwungen habe ich ihn schliesslich so, dass ich vor der Abfahrt in Saignelégier ein Höllenfeuer anlegte, bis er zu allen Ventilen hinausstöhnte und froh war, wenn er kräftig arbeiten durfte. Aber auch dem Führer gegenüber benahm er sich rüppelhaft: Vermutlich infolge Schieber- oder Stangenspiels war er oft zu faul, um anzufahren, so dass der arme Mann an der Steuerung kurbeln musste, bis ihm der Schweiss von der Stirne rann.
Als letztes sei das „Adoptivkind“ von der PSC, das kleine „Nüüni“ erwähnt. Es kam mir vor wie armes Verdingkind, das sein Leben unter fremden Leuten mit ungewohnt harter Arbeit verdienen musste. Ich habe mich daher seiner angenommen und es gepflegt, so gut ich's verstand. Von dem, was ich zu geben hatte, sollte ihm nichts fehlen. Es zeigte sich erkenntlich und gab sich alle Mühe, mit seinen kurzen Beinen (dh kleinen Rädern) mit dem Fahrplan Schritt zu halten, obwohl es manchmal fast ausser Atem geriet. Wie oft hat es mich mit seinem munteren und kräftigen Auspuffschlag erfreut und mich die Romantik des Dampfrosses auch mit dem Gehör erleben lassen.
Erste Bewährungsprobe
Als ich gestern Abend nach der Heimkehr mit Zug 90 im Depot de Anschlag über die Diensteinteilung von heute nachsah, bemerkte ich zu meinem gewaltigen Erstaunen, dass ich als Heizer allein mit R vier Extrazüge zu führen hatte, von deren Strecken und Verkehrszeiten ich keine Ahnung hatte. Aber morgen kam ja mit Zug 86 . . . . zum Teufel, man sagte mir doch ich hätte frei! Da kann etwas nicht stimmen! Kaum nahm ich mir Zeit, richtig zu essen und rannte dann zum Chef, der über meinen Fragestrom bass verwundert war. Nun, die Sache sei einfach, wurde ich aufgeklärt: Morgen seien noch zusätzlich Material- und Arbeitszüge zu führen und da kein Heizer mehr verfügbar sei, müsse ich eben einspringen. Erst die Meldung, wonach diese Züge nur bis Mittag verkehrten, liess meinen Stolz über die vorzeitige Beförderung aufkommen.
Schon geraume Zeit vor der durch den Dienstfahrplan festgesetzten Stunde war ich auf dem Platz, denn ich musste nun sämtliche Vorarbeiten selber besorgen. Zudem war Samstag, wo noch „auszublasen“ war. Dem Leser sei hier gleich geschildert, was der Heizer vor der Zugsabfahrt alles zu tun hat, damit bei späteren Erlebnissen auf diese Darstellung verwiesen werden kann.
Unter der Voraussetzung, dass man zur Zeit anrückt, ist folgendes in der hier gegebenen Reihenfolge zu tun:
„Décapuchoner“, das heisst, den Deckel vom Kamin abheben und auf dem rechten Wassertender deponieren.
Auf dem Führerstand die Handbremse lösen und die Hahnen zu den Wasserständen öffnen.
Des Führers und das eigene Oelpintli auffüllen und dann die Achslager schmieren, wobei man von Glück reden kann, wenn man dazu die Maschine nur einmal bewegen muss.
Blick in die Feuerbüchse: Langt's noch zum Feuerputzen, ist's gut, wenn nicht, so muss vom Depot-Estrich eine Welle Holz und ölige Putzfäden beschafft werden. Nehmen wir den besseren Fall an: nun ist es vorteilhaft, wenn man vorher das nötige Quantum Briketts kleinschlägt, sonst geht's einem wie mir am Anfang einmal: Das Feuer schön sauber geputzt, aber nichts zum Anlegen. Peinliche Situation! Das Feuerputzen geschieht wie folgt: Mit dem Feuerhaken wird das ganze Feuer bis auf die Schlackenschicht an die Rohrwand nach hinten gestossen und dann mit der Schaufel die Schlacke ausgeworfen. Wenn man Wert auf friedliches Zusammenleben mit den Kollegen legt, vergewissert man sich vor dem Schlackenauswurf noch rasch, ob niemand in den Weg kommen könnte! Das Feuer wird nun nach vorne gezogen, die hinteren Schlacken ausgeworfen und der Rost gleichmässig mit Glut bedeckt. Darauf wird eine nicht zu dicke Schicht ziemlich reiner Briketts gelegt und dann mässig geblasen. Das alles sollte ziemlich gut und rasch geschehen.
Jetzt ist der Moment gekommen, den Aschenkasten zu leeren, eine sehr umständliche Geschichte. Man muss nämlich auf dem Bauch unter die Lokomotive kriechen und mit dem Feuerhaken den Kasten auskratzen, was grosse Staubwolken auffahren lässt.
Nun wird der Bläser abgestellt und die Rauchkammer von übergerissenem Material befreit. Alle zwei Tage müssen die Siederohre ausgeblasen werden. Das ist das Lustigste von allem, besonders wenn einzelne Rohre verstopft sind. Der Heizleitung wird Druck entnommen und mit einem speziell hierfür konstruierten Rohr von der Rauchkammer her durch jedes Siederohr einzeln geleitet. Falls man ein Loch nicht gut trifft oder sogar ein Rohr verstopft ist, wird einem mit grosser Gewalt eine Russwolke mitten ins Gesicht geschleudert. Im Gesicht würde der Russ, abgesehen von der Beeinträchtigung des zivilisierten Aussehens keinerlei Unanehmlichkeiten bewirken, aber die Körnchen, die zwischen Hals und Kragen den Weg in die Tiefe fanden, sind unangenehm.
Mittlerweile ist der Führer auch angetreten und hat bereits das Triebwerk geschmiert, so dass es nun Zeit ist zum Wasserfassen und zur erneuten Feuerbeschichtung. Bei dieser Gelegenheit sollte auch noch der Schmierapparat und anschliessend sämtliche Kännchen und Pintli mit Oel aufgefüllt werden. Soweit die Vorbereitungen.
Heute Morgen musste ich also alles selber tun, bevor wir nach Noirmont dampften. Im Uebrigen hatte ich eigentlich keine Gelegenheit mein Talent zu entfalten, denn wir schlichen nur zwischen Saignelégier und Noirmont herum.
Frisch gewagt ist halb gewonnen
Eigentlich war fast noch Sonntag, als ich zum Dienst antrat. Es galt, den nächtlichen Schottertransport auszuführen und das noch mit Lok 7. Mir war ganz abenteuerlich zu Mute, als ich auf dem stockdunklen Areal nach „meiner Maschine“ fahndete. Dort vorne am Rampengeleise hob sich ein Kamin schwach vom Nachthimmel ab. Ich stolperte in die Richtung, wurde aber enttäuscht, denn es war die Nr.4. Ich tappte also weiter und fand schliesslich mein Ross zwischen Depot und Bahnhof auf einem Nebengeleise. Ich machte Licht und begann die Achsen zu schmieren. Plötzlich sah ich, wie sich eine Gestalt vom Bahnhofsgebäude löste und schwankenden Schrittes auf mich zukam. Auf einmal schien sie in der Versenkung zu verschwinden. Ich vermutete Ungutes und begab mich mit der Handlaterne an den vermeintlichen Unfallort. Richtig, da lag Kondukteur G zwischen den Schienen. Offensichtlich hatte er zu tief ins Glas geschaut. Aus seinen etwas unzusammenhängenden Aussagen konnte ich wenigsten entnehmen, dass er nicht verletzt war und des Weiteren beabsichtigte, unseren Zug als „Chef de train“ zu begleiten. Mittlerweile war auch sein Kollege H aus dem Buffet gekommen und nahm sich des Verunfallten an. Dieser liess sich aber nicht bevormunden und wollte das Manöver des soeben von La Chaux de Fonds eingefahrenen Zirkus Knie-Extrazuges leiten. Die Folge war die, dass diesmal drei Mann das das Rangieren besorgten: Erstens einmal der Angeheiterte mit lauter Stimme, dann ein Zweiter, der diesen hüten musste, damit er nicht unter die Räder kam und schliesslich ein Dritter, der die Leitung innehatte.
Als unser Zug abfahrbereit war, stellte sich die Frage, wie wir unseren Zugführer heil nach La Chaux de Fonds bringen sollten. Auf die niedrigen Schotterwagen konnten wir ihn unmöglich setzen, folglich musste er auf die Lokomotive. Tapfer kletterte er das Leiterlein empor und setzte sich – plumps – mitten in meinen Kohlehaufen. Unter sehr lebhafter Diskussion wurde er schliesslich auf den Werkzeugkasten hinter dem Führer gesetzt, wobei der Führer aber weit Zurückstehen musste um ihn vor dem Herunterfallen zu bewahren. Also nickte er friedlich ein, wobei ich dann nacheinander im Brennmaterial seine Tasche, Mütze und Brille fand! Wir gelangten heil nach La Chaux de Fonds! Der Schlafwagenpassagier wurde ausgebootet. Gewaltig streckte er sich und brummte uns dankbar zu: „Oh, cela m'a fait du bien, ce sommeil“! (Oh, die hat so richtig zum Schlafen gebracht.)
Mit dem Schotterzug wollten wir eben ans Wasser fahren, als ein solcher Ruck erfolgte, dass ich kopfvoran in die Briketts flog, und der Führer ganz schön fluchte. Was war geschehen? Beim hintersten M-Wagen war ein Kupplungsstück gebrochen und der herunterhängende Reservezughaken hatte am Weichenherz eingehängt. Plötzlich wurden wir alle wieder froh, denn wir dachten daran, was passiert wäre, wenn sich dieses Malheur bei der Durchfahrt durch eine Station ereignet hätte!
Nun galt es aber kräftig abzudampfen, denn wir hatten Verspätung und wir mussten Zug 81 in Noirmont kreuzen. Ich heizte ein was in der Feuerbüchse Platz hatte und der Druck blieb tatsächlich oben, so dass wir mit den 70 Tonnen Anhängelast noch verhältnismässig gut vorwärts kamen. Als wir gegen Noirmont hinunterrollten, grüsste von Les Emibois die Rauchfahne des Zuges 81 zu uns herüber. Wir hatten es geschafft und meine Feuertaufe war bestanden!
Sichtöler
Unseren Materialzug übernahmen wir heute in Noirmont. Bei der Kontrolle der Maschine stellte ich fest, dass der Schmierapparat bereits gefüllt war. Kaum aber waren wir unterwegs, fragte mich der Führer, ob ich den Lubrikator gefüllt habe, ihm wolle scheinen, die Zylinderschmierung sei nicht in Ordnung. Ich verneinte die Frage mit dem Hinweis, er sei schon voll gewesen. Nun musste ich aber zu meiner Bestürzung erkennen, dass das Schauglas nur mit Oelresten verschmiert, der Apparat aber leer war. Seither prüfe ich jeden Sichtöler auf klare Sicht!
Wenn manche wüsste...
Eine Schulklasse, vermutlich aus dem Baselbiet, benützte heute den 803. Die Kinder hatten unverschämte Freude an unserem Bähnli und hingen wie Trauben an den Plattformen des BC, der unmittelbar hinter der Lokomotive eingereiht war. Das duldete der Schulmeister nicht, aber wenn er auf der hinteren Plattform handgreiflich wurde, hingen die Bengel vorne heraus und umgekehrt, bis er aufgab. Im Wagen darin wurde fortissimo Handharfe gespielt, sodass ich es nicht verklemmen konnte, laut mitzugröhlen, wenn eine bekannte Melodie kam. Der Führer schüttelte den Kopf!
Am Nachmittag hatten wir in La Chaux de Fonds Pause, und ich benutzte die Gelegenheit zu einem Nickerchen in der Wiese neben dem Depot. Plötzlich wurde ich durch Männerstimmen geweckt: Zwei Herren standen diskutierend bei der Maschine. Ich stellte mich als Heizer vor und sie entpuppten sich als Eisenbahnamateure. Bald waren wir in ein angeregtes Gespräch vertieft. „Freuen sie sich auf den elektrischen Betrieb?“ wurde ich gefragt. „Warum soll ich auch? Ich habe ja nichts davon, da ich nicht elektrisch fahren werde“. „Ja, warum denn nicht?“ „Ich bin nur aushilfsweise hier und arbeite im Hauptberuf gar nicht bei der Bahn“. Verwundertes Kopfschütteln! „Welches ist denn ihr Beruf?“ „Ich studiere Ingenieur an der ETH und bin dazu noch Dampfrossromantiker. Massloses Erstaunen! Ein Student als Lokheizer? Als ich ihnen noch erklärte, ich führe ständig den Fotoapparat auf der Maschine mit und es seien mir schon ein paar hübsche Aufnahmen gelungen, lief ihnen bereits das Wasser im Mund zusammen und sie gaben mir den Rat, meine Erlebnisse für spätere Zeiten in Wort und Bild festzuhalten.
„Wassernot“
Heute habe ich ganz deutlich erfahren, welche Bedeutung den Injektoren, das heisst, ihrem richtigen funktionieren zukommt. In Saignelégier kontrollierte ich noch vor der Abfahrt meinen Injektor: Er zog! Wie wir nun gegen La Cibourg zurollten (es war die Lok 9 mit dem schweren 81er), konnte der Führer, der es auf dieser Maschine des besseren Injektors wegen tat, kein Wasser mehr machen. Sofort nach der Abfahrt in Cibourg wurde weiter probiert. Ich glaubte, nun mit meinem Injektor dem Führer grosszügig zu Hilfe kommen zu können, musste aber feststellen, dass auch ich kein Wasser ziehen konnte. Das Speisewasser war offensichtlich zu warm geworden. Das Niveau sank beängstigend rasch und bald war in den Schaugläsern nichts mehr zu sehen. Im Geiste sah ich bereits einen Dampfstrahl in die Feuerbüchse zischen. Allein, es galt zu handeln, bevor es zu spät war! Eine Büchse zur Hand, neben der Maschine nach vorne turnen und aus des Tenders Tiefe einen Napf voll kühleres Wasser schöpfen war die einzige Möglichkeit, von der ich auch Gebrauch machte. Mit dem so gewonnenen Wasser wurde der Injektor begossen, und siehe da: Knapp vor Bellevue begann er zu ziehen. Es war fünf vor zwölf gewesen und wir hatten wieder einmal Glück gehabt.
Gesellschaftsfahrt
Mit Papa C und seiner „Franches Montagnes“ waren neben den fahrplanmässigen Zügen 87/90 noch die Nachtextrazüge 1027/1028 zu fahren. Als jüngster Heizer musste ich in den sauren Apfel, genannt Nachtdienst, beissen. In Noirmont war Musikfest und 30 Personen sollten laut Zirkular nach Hause gefahren werden. Aus Sparsamkeitsgründen nahmen wir statt der befohlenen 2 C nur einen mit. In Noirmont warteten wir ein gute Stunde über die angeschlagene Abfahrtszeit hinaus, ohne dass sich Passagiere eingefunden hätten. Schliesslich wurde es uns zu dumm und wir fuhren mit ganzen drei Reisenden los, von denen noch zwei in Les Bois ausstiegen! Mit dieser geringen Belastung gab es nicht viel einzuheizen, so dass ich schön Zeit hatte, mir die Freiberge bei Vollmond anzuschauen. Es lag etwas Mystische über der Gegend, das durch den Rauch, der sich in den Tannen verfing, noch verstärkt wurde. Die Rückfahrt wurde zu einem netten Plauderstündchen über Land und Leute des Jura. Ob dies aber der Sinn der Fahrt gewesen war?
Blamiert!
In La Ferrière waren drei neue K-Wagen abgestellt, die der automatischen Kupplung wegen noch nicht verwendet werden konnten. Als wir am Sonntagabend mit dem 92er die Kreuzung abwarteten, benützten wir die Gelegenheit, um diese zu besichtigen. Es gesellte sich noch ein älterer Herr zu uns, der sich lebhaft um die Dinge zu interessieren schien. Ich erklärte ihm daher, wie es früher auf dieser Bahn gewesen sei, und wie nun alles aufgebaut und eingerichtet werde. Er nahm stark Anteil am Erklärten. Als wir weiterfuhren, wollte ich vom Führer wissen, wer denn dieser Herr gewesen sei. „Ja“, erklärte er verschmitzt lächelnd, „das ist Herr A, gewesener Direktor unserer Bahn“: Von da an kannte ich ihn!
Dienst am Kunden
Heute musste sich Vater Sch über seinen Heizer-Flegel ärgern, denn er masste sich etwas an, das nur Sache des Führers ist: Er zog an der Lokomotivpfeife. Das kam so: Wir waren mit der Lok 9 bei Large Journée ganz nahe der Strasse am betonieren. Ich war just mit der Reinigung der Triebstangen beschäftigt, der Führer sass mit der Zeitung und Tabakspfeife am Bahnbort, als ein grosser Amerikanerwagen neben uns hielt. Ein Herr stieg aus und begann uns zu filmen. Nachher wollte er Verschiedenes von mir wissen und zuletzt noch einen Lokomotivpfiff auf sein Tonaufnahmegerät bannen. Ich erklärte ihm und seinen mittlerweile herbeigekommenen Buben, ich dürfe da nicht so ohne weiteres pfeifen. Sie bettelten so lange, bis ich nachgab und einen mächtigen Hornstoss erschallen liess. Sie bedankten sich lachend und fuhren davon, der Führer kam aber im Galopp daher und begann laut aufzubegehren. Ich schilderte ihm die Situation, aber es ging ordentlich lange, bis er sich beruhigt hatte.
Verschlafen
Diesen Morgen habe ich mich gehörig verschlafen. Ins Depot rennen, nachschauen welche Maschine, und los an die Arbeit war fast eins. Mein Patron war offenbar auch noch nicht da: allerdings hörte ich auf der Lok 7 weiter drüben etwas rumoren. Als ich mit dem Feuerputzen fast fertig war, kam er daher und schnauzte mich an, was ich denn eigentlich auf dieser Maschine zu schaffen hätte, es wäre jetzt dann bald Zeit, auf der eigenen Lok anzufangen. Ich bemerkte nur, wir hätten für heute die Vier zugeteilt, was er mir nicht glauben wollte. Als ich aber ungeniert weiterarbeitete, trollte er sich ins Depot und kam bald im Eiltempo zurück: Ja, es stimmt. Nun war ich wieder weiter als er und ein Grund zu einer Strafpredigt war zerstoben.
Wir sollten als Vorspann an Zug 803 nach La Chaux de Fonds fahren. Bei der Ausfahrt in Saignelégier war ich mit verklopfen von Briketts beschäftigt, sah aber, dass der Führer auf die Strecke schaute. Wie wir neben dem Depot vorbeifuhren warf ich zufälligerweise einen Blick nach vorne und bemerkte, dass unser Weg zufolge falscher Weichenstellung direkt in die Wagenremise führte. Ich schlug Krach und unsanft hielt das Fuhrwerk an. Es hagelt Vorwürfe von oben, dh vom Vorstand her, die jeder prompt an seine Untergebenen weitergab, bis zuletzt der Heizer der vorderen Maschine, also ich, Schuld sein sollte. Das gab mir Gelegenheit, einmal meine Begriffe von Stationsdienst und Zugsabfertigung an den Mann zu bringen!
Heizer und Publikum
Vermutlich habe ich heute einige Passagiere leicht verärgert. In Saignelégier kam ich erst in letzter Minute dazu, die Wagen zu salben, dazu noch beim 91er, wo am Sonntagabend ohnehin das ganze Bahnhöfli voller Leute war. Ich kam mir selber leicht deplaciert vor, in einem gar nicht sonntäglichen Gewand mit dem Oelpintli durchs Volk zu rennen mit ständigem Wechsel von „Excusez“ und „Pardon“.
Am Sonntag verkehrt auf der CTM ein Spätzug, der in Noirmont den Anschluss von unserem Zug 94 abnahm. Um sich einen Arbeitsgang zu ersparen, „stabte“ der Vorstand den Elektrischen und uns miteinander ab. Hier muss erklärt werden, dass die beiden Geleise eine Strecke weit parallel laufen (so, dass man nötigenfalls noch umsteigen könnte!). Ich hatte gerade Briketts zerschlagen und wollte eben die Hände etwas reinigen, da fuhr der CTM-Motorwagen an uns vorüber und eine „Dame“ streckte mir, dem „Langsameren“ spöttisch die Hand zum Gruss herüber. „Dich will ich lehren, die Leute auf der Dampflokomotive auszulachen“, dachte ich und drückte die ziemlich auffällig manikürierte Hand mit aller Kraft. Das Gesicht des Frauenzimmers nach diesem Händedruck hätte man fotografieren sollen, zumal der ganze Wagen sich darüber lustig machte. Die Schimpfworte, die sie mir nachrief, verstand ich nicht mehr, denn unterdessen hatte der Führer Sch die Aufforderung zu einem Wettrennen angenommen und den Regulator ganz geöffnet. Der wackere „Pouillerel“ zog an wie wohl noch selten und der elektrische Motorwagen konnte nicht mehr Schritt halten. Für diesmal hatte der Dampf gesiegt!
Instruktionsdienst
In Saignelégier hatte ein junger „aiguilleur“, dh Rangierarbeiter seine Tätigkeit aufgenommen. Der gute Gilbert war frisch vom Bahndienst gekommen. Von der Uniform besass er noch nichts als die Pfeife. Die Instruktionen, die man ihm für sein neues Amt gegeben hatte, schienen äusserst dürftig zu sein. Beim Manöver konnte plötzlich nicht mehr angefahren werden, da die Komposition gebremst und die Leitungen nicht an die Maschine angeschlossen waren. Der Führer rief ihm zu, er solle doch die Bremsen lösen. Der unerfahrene Gilbert gab zurück, er könne nicht. Der Führer fluchte alle Zeichen und tat wüst mit dem armen Teufel. In einer kleinen Pause nahm ich den verdatterten Jüngling beiseite und zeigte ihm, dass jeder Wagen ein Auslöseventil habe und wie man damit die Luftbremse lösen könne. Ein paar Minuten später fuhren wir wieder an die Wagengruppe an, deren Bremsen nun angeschlossen wurden. Ich war mit der Feuerung beschäftigt, bis mich der Patron fragte, wo denn der Manöverist stecke. Als ich nach ihm Ausschau hielt, sah ich, wie der gute Gilbert der ganzen Wagenreihe entlang rannte und jedes Fahrzeug am Auslöseventil kitzelte. Ich demonstrierte ihm nun, wie man die Bremskontrolle einfacher und schneller mit einem Fusstritt an die Bremsklötze durchführte. Die Wagen waren nämlich gelöst. Zu meiner Freude konnte ich feststellen, dass der Junge kein schlechter Schüler war und bei jeder Gelegenheit seine Schuhe an den Bremsklötzen „verstüpfte“.
Fürio!
Enorm froh war ich, dass Dampflokomotiven nicht aus Holz gebaut sind, denn sonst wäre die unserige heute wohl verbrannt. Führer Sch hatte die Gewohnheit, auf seiner Maschine 7 auf der Führerseite am Boden einen Haufen Putzfäden mitzuführen, und ich das Pech mit der Schaufel beim Schlackenauswerfen anzustossen, so dass ein glühendes Schlackenstück in die Fäden fiel. Explosionsartig setzte sich der Mist in Brand und loderte hellauf, als gerade der Führer auf seinen Stand stieg. Den hättet ihr sehen sollen! Wie ein Wilder trampelte er zuerst auf dem Brandherd herum, und als das nichts nützte, warf er das Feuer mit der Schaufel zur Tür hinaus. Der geneigte Leser wird sicher verstehen, dass er bis Dienstschluss keine allzu freundlichen Worte mehr für seinen Heizer übrig hatte.
Schadenfreude oder Berufsstolz?
In La Chaux de Fonds hätten wir beim Schienenwechsel mithelfen sollen. Da aber ausgerechnet heute unsere Mitarbeit überflüssig war, kamen wir zu einem ganzen Nachmittag Pause im Gare de l'Est, wobei ich vom Oberzugführer L nach einem ausgiebigen schwarzen Kaffee im Buffet die freundliche Aufforderung erhielt, den 5 Personenwagen einen „petit coup de balai“ zu geben. Zwei Stunden lang habe ich ich mit Besen und Schaufel gewirkt, um nur den gröbsten Dreck zu entfernen! Aus unerfindlichen Gründen hatten wir am Mittag mit dem Personal vom 804 die Maschine getauscht, dh für die 7 die 4 erhalten, worüber ich heilfroh war. Schon früh begann ich mit den Vorarbeiten für Zug 90, denn heute wollte ich dem Patron zeigen, dass der „Pouillerel“ wirklich besser ging als seine „Jura“. Aufs Gewissenhafteste kontrollierte ich das Feuer, musste aber die Enttäuschung erleben, dass dessen ungeachtet der Druck auf 11 Atmosphären hocken blieb, bis wir beim Bellevue oben waren. Offenbar war das Feuer doch zuwenig durchgebrannt gewesen. Als mein Vorgesetzter zu einer Rede anhub, war ich auf eine Strafpredigt gefasst, aber nichts von dem! Mit zufriedenem Grinsen meinte er: „Hast du jetzt gesehen, das Vieri ist auch nicht besser gegangen!“ Seitdem habe ich nie mehr vor ihm über seinen „Jura“ geschumpfen.
Die Maximalbelastung
Bis jetzt hatten wir nie mehr als 70 Tonnen Anhängelast befördern geholfen und schon das Gefühl gehabt, es sei mehr als genug. Mit dem 803 waren wir wieder einmal eine Viertelstunde zu spät weggekommen und das erst noch mit einem langen Zug. In Les Emibois kam noch eine wackere Fuhre Langholz dazu, so dass wir nun 98 Tonne gegen Noirmont hinaufzuschleppen hatten. Zum Glück hatte ich schon am Start als prophylaktische Massnahme einen gehörigen Brand aufgebaut, so dass Feuer genug war. Aber die Belastung setzte unserem Ross dermassen zu, dass die Geschwindigkeit nicht über 15km/h gesteigert werden konnte, was nun wiederum einen namhaften Zeitverlust brachte. Zu allem Elend waren ausgerechnet die Injektoren nicht ganz im „Strumpf“. Wir probierten jeweilen auf beiden Seiten, und derjenige welcher eher Wasser ziehen konnte, liess ein Triumphgeheul los, damit der Andere seine Bemühungen einstellen konnte. Wenn jeweilen ein Injektor zog, wurde der Kessel einfach gefüllt. Das der Druck bei diesem Verfahren nicht immer glänzend war, versteht sich, aber dies war die einzige Möglichkeit, ohne Schaden ans Ziel zu gelangen.
Noch einmal Dienst am Kunden
Wie der Leser nun sicher bemerkt haben wird, ist bei uns nicht immer alles nach Reglement gegangen. Dass wir uns aber kleine Unkorrektheiten nicht nur dann zuschulden kommen liessen, wenn es unserer Bequemlichkeit diente, mag folgende Begebenheit zeigen: Eines Abends fuhren wir als Leerfahrt ungefähr anderthalb Stunden vor Zug 90 von Noirmont nach Saignelégier. In Noirmont sass ein alter Mann auf der Bank beim Bahnhöfli und wartete offensichtlich auf den Zug 90. Der Führer erklärte mir, das sei ein Hafner aus Saignelégier, der immer mit der Bahn auf die „Stör“ fahre. Da er kranke Beine habe, könne er nicht zu Fuss heimgehen und müsse nun hier auf den nächsten Zug warten. Wir wurden uns einig, den Gebrechlichen aufzuladen und im Führerstand mitzunehmen. Er war ausserordentlich dankbar und wir hatten wieder einmal für die Bahn eine gute Propaganda gemacht.
Lasst hören aus alter Zeit
Bis 10 Minuten vor der Abfahrtszeit standen wir untätig herum. Nun ging ein Allerweltsmanöver los. Jeder befahl, bis alle Gleise verstopft waren. Dann konnten wir mit gehöriger Verspätung losrennen. Aber gerade das Rennen bereitete dem „Jura“ Schwierigkeiten. Seine Federung war nämlich dermassen abgenützt, dass sein Lauf ausserordentlich hart rüttelnd war. Die Folge war nun richtig wieder die, das der kunstvoll aufgeschichtete Briketthaufen wieder auseinanderfiel, und die Kohlen hinterherkamen, so dass ich auf einem Haufen Brennmaterial stehen musste und ständig den Kopf an der Decke anschlug.
In La Chaux de Fonds stellte ich den Schmierapparat erst nach dem Manöver ab, so dass der Patron ermahnte, ja dann beim Wasserfassen abzustellen. Um mir die Bedeutung dieser Massnahme gebührend zu illustrieren, erzählte er mir dann auf dem Bahnsteig, als wir auf den Neuenburger warteten, folgende Begebenheit, die sich vor einigen Jahren zugetragen haben soll: Damals war die Zeit sehr knapp und der Heizer hatte während dem Wasserfassen den Schmierapparat nicht abgestellt. Durch den Druck des in den Schmierleitungen verbliebenen Dampfes setzte sich die Maschine plötzlich in Bewegung, das Füllrohr hängte am Loch beim Wassertender ein, und der gusseiserne Wasserkran wurde am Fuss unten abgerissen, bevor jemand dem Unheil wehren konnte. Nun schoss eine mächtige Wasserfontäne aus den Ueberresten des Krans und setzte die Remise unter Wasser, ohne dass man abstellen konnte. Es blieb nichts anderes übrig, als ins Büro des Bahnhofvorstands zu rennen und das städtische Wasserwerk zu Hilfe zu rufen. Die Folge war die, dass das ganze Quartier ohne fliessendes Wasser blieb, bis der Schaden behoben war. Ob ich nun im Bilde sei?
Körperpflege
Da im Depot zur Körperreinigung nur ein dünner Strahl kalten Wassers zur Verfügung stand, wurde mit Vorliebe nach Arbeitsschluss der nächsten Lok warmes Wasser abgezapft. Das einzige Problem bestand darin, ein geeignetes Gefäss für diesen Zweck zu beschaffen, was zuweilen gar nicht so einfach war. Aus diesem Grunde hatte ein Heizer einen Kessel versteckt, um jeweilen auch noch gerade die Füsse zu waschen. Das erboste seine Kollegen, und sie sannen auf Rache. Sie füllten die Schmierseifenbüchse des Betreffenden mit Konsistenzfett als sie merkten, dass er eine Toilette starten wollte. Nichtsahnend bestrich er das eine Bein mit der vermeintlichen Seife und rieb, aber es wurde immer ärger. Schliesslich merkte er den üblen Spass und wurde zugleich noch gewahr, dass aus allen möglichen Verstecken heraus Gekicher ertönte. Er hat nie wieder einen Kessel stibitzt!
Auch eine Art Streckenblock
Beim 804 sollte in Boéchet ein Fass Most ausgeladen werden, was Zugführer H allein tun wollte. Plötzlich rief er Zettermordio um Hilfe, dh nach dem Heizer und einem Hammer. Das Fass war ihm nämlich über die Wagenkante abgerutscht und hatte dabei seine halben Reifen abgestreift, so dass der Most auszulaufen drohte. Solange musste ich am Fass herumhämmern, dass die drei Passagiere verwundert ans Fenster traten, und feststellen mussten, dass das Lokpersonal auch für Küfferarbeit zu gebrauchen war.
In Creux des Biches sagte uns die Wirtin und Stationsvorsteherin, Noirmont habe telefoniert, wir sollten hier warten, bis durch den Draht die Weiterfahrt gestattet würde. Gut, wir steckten unsere Tabakspfeifen in Brand und liessen uns im Beizlein Kaffee und Kuchen auftragen, denn es war Mittagszeit. Nach einer Viertelstunde wollten wir Noirmont anrufen, aber das Telefon dort schien unbrauchbar zu sein. Endlich, nach 20 Minuten kam Bericht, wir sollten weiterfahren. In Noirmont teilte uns der Chef de Gare mit, er hätte noch soviel CTN-Manöver gehabt, dass wir nur im Weg gewesen wären. Damit wir nicht etwa mit ihm telefoniern könnten, habe er wohlweislich das Telefon abgestellt!
Zeitvertrieb
Den ganzen Tag hatten wir Werkstatt eingeteilt und ich benutzte die Gelegenheit, um an unserer Maschine den defekten Geschwindigkeitsmesserantrieb zu reparieren. Den ganzen Tag habe ich mit Feile und Schublehre und Azetylenflamme gekämpft und zum Schluss alles fein säuberlich geputzt und montiert. Voller Stolz meldete ich dem Führer, die Sache sei in Ordnung, er solle sie begutachten. Ich erwartete eine Anerkennung meiner Mühe. Er aber meinte bloss: „Nun gut, jetzt hast du wenigstens nichts Dummes angestellt“.
Was ein Kontrollmanometer zu Tage bringen kann
Unsere „Jura“ hatte neben anderen auch noch diese unangenehme Eigenschaft, nämlich die, schon bei 10,5 Atmosphären abzublasen, was allgemein als Defekt des Sicherheitsventils angesehen wurde. Mir war aber schon längere Zeit hindurch aufgefallen, dass der Kesselmanometer bei diesem Druck stark zitterte, und ich verlangte das Kontrollmanometer. Und richtig: Dieses zeigte 12,4 als das Sicherheitsventil nachgab. Ich meldete meine Entdeckung den zuständigen Stellen, wurde aber nur gönnerhaft belächelt, so dass ich mein Experiment unter „amtlicher Kontrolle“ wiederholte. Männiglich staunte, und seither hat niemand mehr etwas von Sicherheitsventil-Einstellung gesagt!
Die letzte Fahrt
„Ende gut, alles gut“ dachte ich, denn heute war mein letzter Tag. Es galt, den 803 und am Abend de 90er zu machen. Das Ende schien aber gar nicht gut zu werden, denn die 7 dampfte so schlecht, dass wir trotz allem Blasen nur mit 9 Atmosphären gegen Bellevue heraufschlichen. Mir wurde Angst und Bange, wenn ich an den schweren Zug 90 und seine knappe Fahrzeit dachte. Zufälligerweise schaute der Führer einmal in die Feuerbüchse (was er sonst selten tat) und schüttelte den Kopf. Auf meinen fragenden Blick meinte er nur, ich sollte einmal hineinsehen. Ich war selber erstaunt, denn hinten an der Rohrwand sassen grosse sogenannte „Nester“, die den Saugrohrquerschnitt erheblich verkleinerten. Es war das erste Mal, dass ich diese Erscheinung bemerkte. Flugs holte ich vom Dach das „Röstischüfeli“ und säuberte die Rohrwand. Der Führer meinte nur, das sollte man eigentlich vor jedem Zug machen, und fand, man sollte jeden Heizer am Anfang seiner Karriere darauf aufmerksam machen.
Das Ende wurde nun aber doch noch gut. Die Behandlung schien genützt zu haben, und des Manometers Zeiger bleib fast dauernd am roten Strich. Für mich wurde die Fahrt zu einem grossen Abschiednehmen. Zum letztenmal fuhr ich durch die mir liebgewordene Gegend. Wie genoss ich mit wachen Sinnen das schwere Arbeiten der Maschine vom Gare de l'Est durch den Wald hinauf, um dann stolz darüber, dass die Steilrampe genommen wurde, durch die engen Kurven gegen Cibourg hinunter zu rollen. Einen letzten Blick warf ich vom Seignat gegen den tief eingeschnittenen Graben von La Ferrière hinüber. Fast als letzten Gruss hängte ich im Chaux d'Abel eine mächtige Rauchfahne ans Kamin, deren Enden sich in den prächtigen Juratannen verfingen. In diese Landschaft passt noch die Dampflokomotive! Allein, es blieb nur kurze Zeit, solches zu geniessen, denn bereits nahmen wir die Steigung von Les Bois in Angriff. Einmal oben, war die Hauptsache gewonnen. Wie genoss ich noch einmal die Fahrt über die einzig schönen Weiden von Creux des Biches bis hinunter gegen Noirmont, sah die Fohlen in tollen Sprüngen davon rennen, wenn unser Choli kam, währenddem die Muttertiere an ihren eisernen Kameraden gewöhnt, ruhig weitergrasten. Ein letzter Angriff gegen Muriaux, und mit einem langen Pfiff zogen wir in Saignelégier ein!
Schlussbetrachtung
Die Heizerzeiten waren keine Ferien, dennoch schön. Ich durfte den Dampfbetrieb aus eigenem Erleben kennenlernen und nicht nur als aussenstehender Romantiker. Ich erlebte hier gewissermassen ein Stück technischer Frühzeit mit all seinen Unzulänglichkeiten aber auch mit seinem zähen Willen zur Leistung und zum Durchhalten. Es stimmt, die guten Maschinen sind müde, und das Rad der Entwicklung lässt sich nicht zurückdrehen. Darum werden sie modernen elektrischen Fahrzeugen Platz machen müssen. Sie sollen aber nicht der Vergessenheit anheimfallen, sondern in der Erinnerung ihren Ehrenplatz als Pioniere des Schienenverkehrs behalten.
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